Beschreibung
Der Wirkbau in Chemnitz ist ein innerstädtisch gelegenes ehemaliges Fabrikareal, dessen Grundstein 1883 gelegt wurde – einst war es das größte Werk für Textilmaschinen in Deutschland. In der mehr als 120-jährigen Geschichte folgten zahlreiche Erweiterungen und Umbauten. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Geländes zerstört – so auch die oberen zwei Etagen der Halle G im Zentrum des Areals. Auf dieser Fläche begann mit der Erstellung des Dachgartens ein neues Kapitel für den Wirkbau. Im Laufe des Jahres 2022 wurde auf dem einstigen Bitumendach im Herzen des Wirkbau-Areals auf ca. 1.500 m2 mit dem Dachgarten eine „grüne Lunge“ geschaffen, die bioklimatisch eine zentrale Rolle für das sonst dicht bebaute Areal spielt. Der Dachgarten ist für alle öffentlich und barrierefrei zugänglich.
Ziel
Ziel des Projekts war die Schaffung einer baumbestandenen Oase inmitten des Quartiers Alt-Chemnitz, das auf Bedürfnisse der „Wirkbau-Familie“ wie auch der Nachbarschaft nach einem attraktiven Grün- und Begegnungsraum reagiert. Das Projekt ist darauf ausgerichtet, die durch den Klimawandel erforderlich gewordenen Anpassungen nach Hitze- und Starkregenschutz zu erfüllen und zeitgleich die Aufenthaltsqualität im Quartier zu steigern. Gefördert wurde das Projekt aus dem Konjunkturprogramm „Nachhaltig aus der Krise“ des Sächsischen Staatsministeriums für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft.
Herausforderungen
Durch den Klimawandel erleben wir vermehrt intensive Niederschlagsereignisse, die Kanalsysteme an ihre Belastungsgrenze bringen. Begrünte Dächer zeichnet in Kombination mit ihrer nachhaltigen Verdunstungsleistung (rd. 65 % des Jahresniederschlags) eine effektive Niederschlagsaufnahme aus. Die verzögerte, reduzierte Ableitung überschüssigen Wassers entlastet die Kanalsysteme. In Trockenperioden wiederum dient eine Regenwasserzisterne der Bewässerung der Dachbegrünung. Für Vögel und Insekten ist der Garten ein Nahrungs- und Lebensraumangebot. Zudem wirkt er der Überhitzung urbaner Gebiete entgegen und erhöht die Aufenthaltsqualität im Areal: Die verminderte Reflexion der Sonneneinstrahlung und die durch Verdunstung entstehenden Kühle reduzieren die Lufttemperatur im Umfeld erheblich.
Kooperationen
Die exponierte Lage auf dem Dach erforderte besondere Herangehensweisen bei der Planung sowie der Auswahl der Pflanzungen mit sich. Mit den Expert:innen der Baumschule Bruns aus Oldenburg und Gehrhardt Landschaftsarchitekten wurden daher Bäume ausgewählt, die in der Baumschule stabil wuchsen und in der neuen Umgebung schnell in der Breite wurzeln. Somit konnte der Dachgarten rasch anwachsen und bespiel- sowie begehbar werden. In Kooperation mit Meyer-Grohbruegge Architekten wurde ein Wegenetz angelegt, das die Baumscheiben schont und dennoch einen Großteil des Gartens begehbar macht. Besonders eng und erfolgreich ist unsere Partnerschaft mit dem Team der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 GmbH, mit dem wir den Dachgarten in das Programm des Chemnitzer Kulturhauptstadtjahr integrieren.
Mehrwert
Chemnitz hat seit der Wende mit einem Bevölkerungsrückgang von rd. 25 % und einem schwerwiegenden wirtschaftlichen Strukturwandel zu kämpfen, der vielerorts einst prachtvolle Industriebauten zu Brachen werden ließ. Der Wirkbau im industriell geprägten Alt-Chemnitz wird durch die Dachgarten-Öffnung als positives Gegenbeispiel wahrgenommen, dem Leuchtturm-Charakter beigemessen wird. Auf dem Dach des einstigen Bombenschadens wurde ein öffentlich zugängliches Angebot und ein Begegnungsraum für Mieter:innen und Besucher:innen geschaffen, den es vorher nicht gab und so in Chemnitz auch kein zweites Mal gibt. In den baulichen Bestand wurde investiert und somit intensiv zum Erhalt eines Industriedenkmals beigetragen. Aus brownfields werden coloured fields.
Besonderheit
Dachbegrünungen sind heute zum Glück keine Ausnahme mehr, jedoch stehen diese meist ausschließlich den Gebäudenutzer:innen zur Verfügung. Im Wirkbau wird der Dachgarten für alle geöffnet und auf verschiedene Nutzungen ausgelegt: Ein Veranstaltungsort für 200 Personen sowie kleinere Nischen zum Arbeiten, für den Mittagslunch oder einfach für eine Pause im Grünen werden ganz selbstverständlich zwischen sanften Hügeln aus Dachgartensubstraten in das geometrische Wegenetz integriert. Die „Versammlung der zehn verschiedenartigen Bäume“ soll die Vielfalt im Wirkbau widerspiegeln und sorgt gleichzeitig dafür, dass jahreszeitlich abwechselnde Blütezeiten das Auge erfreuen. Eine lose Möblierung ermöglicht die variable Gruppierung entsprechend der jeweiligen Belichtungssituationen.